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Kamille - eine verlorene Sache?

Anthemis nobilis Von Graham S. Lancaster
Kamillen-Öl kostete schon immer viel und ist jetzt so kostspielig geworden, dass der Parfümeur es praktisch aus seinen Überlegungen streichen muss, wenn er eine neue Kreation im Auge hat. Der Mechanismus der Spirale aus hohem Preis, geringer Nachfrage, kleineren Ernten, höheren Preisen und noch geringerer Nachfrage wird hier spürbar.

Als Folge davon sind zur Zeit nur kleine Vorräte des Öls vorhanden, und sogar in Fällen, wo der Preis keine Rolle spielt, wird der Parfümeur zögern, es in seine Komposition einzufügen, aus Furcht vor seiner immer knapperen Erhältlichkeit. Andererseits kann man die Kamillen-Pflanzer kaum deswegen tadeln, dass sie einen so geringen Anbau betreiben, es sei denn, man garantiere ihnen ein angemessenes Entgelt für ihre Mühen. Daher befinden wir uns gegenwärtig in einer Stagnation auf diesem Gebiet.

Ironischerweise wächst die englische (römische) Kamille gerade auf den Felsen und in den Schluchten West-Englands in Hülle und Fülle. Ihr dichter, duftender Blütenteppich ist ein normaler Anblick auf Hügelkuppen und altem Weideland. Die Elastizität der Pflanze, ihr Duft und ihre Neigung, einen dichtverfilzten Blätterteppich zu bilden, brachten sie als Rasengrundlage in Mode. Einige dieser Rasen-Exemplare sind sogar noch vorhanden, z. B. im Hampton Court Palace.

Es heißt, dass der englische Admiral Drake gerade auf einem Kamillen-Rasen Kegel spielte, als er die Nachricht bekam, dass die spanische Armada auf England zusegele.

Dieses vitale Verhalten des Gewächses (Trittvegetation) mag jedoch einer der Gründe dafür sein, dass es heute als Kulturpflanze nur noch sehr selten auftritt. Denn ein Kamillen-Rasen bedarf während der Wachstumszeit einer dauernden Pflege und kann nur mit einer Sense gemäht werden. Die Stellung der Kamille im modernen Gartenbau erschöpft sich gewöhnlich in der Rolle eines Füllers zwischen bizarren Trittsteinen, wo sie ihren Duft ausströmt, wenn man auf sie tritt, eine Behandlung, unter der die Pflanze sichtbar gedeiht.

Die Blüten der Kamille sehen ähnlich wie Gänseblümchen aus und haben einen Ring von weißen Blütenblättern, die einen strahlendgelben Mittelpunkt umgeben. Auch wird berichtet, dass es eine gezüchtete Abart geben soll, die gefüllt ist.

Der lateinische Name Anthemis nobilis nimmt Bezug auf die vielen heilenden Eigenschaften, die der Pflanze zugeschrieben werden. Kamillen-Tee als Aufguss aus getrockneten Blütenköpfen wurde eine Zeitlang als Allheilmittel für eine Vielzahl von Verdauungsbeschwerden gepriesen, während die zerkleinerten Blüten einst dazu verwendet wurden, eine Kompresse zur Bekämpfung und Linderung von Zahnschmerzen zu machen. Bis vor kurzem wurde die Kamille auch zur Herstellung eines Haarspülmittels zum Aufhellen der Haarfarbe benutzt. Lange vor dem Auftauchen der Aerosole streute man getrocknete Kamille ausgiebig auf den Zimmerfußboden, wenn man einen gleichmäßig verteilten Wohlgeruch im Raume haben wollte.

Die Kamille wurde offiziell im B. P. und im B. P. C. während mehrerer Jahre für eine Anzahl von Zubereitungen aufgeführt, obwohl der medizinische Gebrauch des Öls jetzt von seiner Verwendung in der Parfümherstellung abgelöst worden ist. Es wird normalerweise durch Dampf-Destillation der Blüten und Blätter gewonnen (einige Destillateure verwenden nur die Blüten), und sein Duft ähnelt dem von Apfel und Tanne. Mit den Augen des Parfümeurs gesehen, liegt seine Haupteigenschaft in der außerordentlichen Stärke und der diffundierenden Fähigkeit seines Duftes. So können winzige Spuren schon den Parfümen der Lavendel-, Fougere- und Chypre-Gruppe einen bezaubernd-berauschenden Schwung verleihen, der auf andere Weise nicht erzielt werden könnte.

Englisches oder römisches Kamillen-Öl sollte nicht mit dem Öl verwechselt werden, das von der deutschen Kamille stammt, die zur Spezies der Matricaria, der falschen Kamille, gehört. Diese besitzt ein ähnliches Aussehen wie die römische Kamille und ergibt ein Öl von tiefblauer Färbung, was von ihrem relativ hohen Azulen-Gehalt herrührt (Öl der römischen Kamille enthält sehr wenig Azulen). Der Geruch des Öls der deutschen . Kamille ist auch sehr intensiv, doch von ganz anderem Charakter. Es riecht strenger und pflanzlicher und erinnert einen an den Duft von Tabak und Heu. Es hat daher durchaus einen Platz in der Parfümerie und der Duft-Komposition, doch es entbehrt der Apfel/Tannen-Spitze der römischen Kamille.

Es gibt noch eine weitere Spezies von falscher Kamille, nämlich die Matricaria matricarioides, die den typischen Duft der römischen Kamille aufweist, aber - soweit dem Verfasser bekannt - noch nicht als Öl-Lieferant ausgebeutet worden ist. Sie tritt als Pflanze sehr häufig auf und wächst praktisch wild auf jedem Flecken Brachland in Nordwest-Europa. Sie sieht wie die römische Kamille aus, jedoch ohne Blütenblätter. Die Blume besteht nur aus einem gelben Knopf fruchtbarer Blütenfäden, die aus dem farnartigen Blattwerk emporragen.

Zur Zeit gibt es nur sehr wenige Züchter von römischer Kamille im Vereinigten Königreich. Das meiste Öl wird auf dem Kontinent gewonnen. Ungarn, Belgien und Frankreich sind die Hauptproduzenten.

Es wäre ein großer Verlust, wenn das Kamillen-Öl ganz und gar von der Bildfläche verschwände. Sein brillanter, berauschend-süßer Duft ist ganz unnachahmlich und kann, abgesehen von seiner Stellung als wesentlicher Bestandteil von anspruchsvollen Parfümen der Lavendel-Klasse, eine Reihe sehr origineller Variationen bei Herren-Toilette-Artikeln erzeugen. Die wenigen Präparate, bei denen noch heute Kamillen-Öl als ein Grundbestandteil des Parfüms verwendet wird, erfreuen sich beträchtlicher Beliebtheit. Wenigstens ein auf dem internationalen Markt vertriebenes Kinder-Badepräparat verdankt seinen Erfolg zum Teil dem Kamillenduft, den es dem Badewasser verleiht, sowie der lindernden Wirkung des Kamillen-Öls.

Wenn sich die Pflanzer dazu überreden ließen, mehr Kamille anzubauen, dann könnte die Spirale von Nachfrage und Preis durchbrochen werden und die Kamille könnte wieder den Platz einnehmen, der ihr in der modernen Parfümerie gebührt.
Aus dragoco report 08-1968
Mit freundlicher Genehmigung

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