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Die ältesten Duftstoffe

Theodor Mildner*

Die Frage nach den ältesten Duftstoffen im menschlichen Gebrauch lässt sich kaum beantworten. Und doch besteht die Möglichkeit, etwas darüber zu erfahren, wenn man die prähistorischen Forschungsergebnisse und die erforschbaren Zeiten in dieser Richtung überprüft. Die Überlieferungen der ägyptischen Hochkultur oder die eines anderen Landes dieser oder einer späteren Epoche sind insofern uninteressant, als zahlreiche Dokumente, von den ägyptischen Papyri bis zu den babylonischen Keilinschriften auf Obelisken und den auf Kreta gefundenen Tontafeln, einschließlich des Alten Testamentes der Bibel, zwar hinreichend Aufschluss über ihre Zeit geben, jedoch über einen Zeitraum von sechs und mehr Jahrtausenden nichts aussagen. Aus diesem Grunde ist man beinahe ausschließlich auf die wenigen Darstellungen in den Höhlen von Altamira und jenen in der Sahara angewiesen.

Diese sprechen - richtig verstanden - eine nicht minder deutliche Sprache als die Schriftrollen und Steintafeln wesentlich jüngerer Kulturen. Denn lange bevor der Mensch schreiben konnte, verstand er es, seine Gedanken, Wünsche und Erfahrungen anderen Zeitgenossen auf eine höchst einfache Weise verständlich zu machen.

Vor rund siebzig Jahren ist eine Bilderwelt zutage getreten, die sich wie ein aufgeschlagenes Buch lesen lässt. Zunächst waren es nur einige wenige bildhafte Darstellungen, die in den Höhlen Südfrankreichs (Font de Gaume, Les Combarelles) und in Spanien (Altamira) entdeckt worden waren. Inzwischen sind annähernd einhundertzwanzig Höhlen mit Malereien aus der Würm-III-Eiszeit und jünger bekannt. Einige davon besitzen hunderte; in der Höhle von Lascaux bei Montignac sind weit über tausend Wandmalereien, als die ältesten in Europa überhaupt, freigelegt worden. Hinzu kommen noch die plastischen Darstellungen auf Knochen, Elfenbein oder Horn. Selbst auf Stein sind Bilder eingeritzt, die in ihrer Gesamtheit eine Vorkultur erkennen lassen, die zwischen dreißig- und zehntausend Jahren vor unserer Zeitrechnung existierte.

Es wäre falsch, wollte man die Bezeichnung „Kultur“ als verfrüht ablehnen - falsch insofern, als ja auch unsere Kultur, eng verknüpft mit unserer Zivilisation, nur eine relative Bedeutung besitzt. Man geht gewiss nicht fehl, wenn man behauptet, dass mit fortschreitender Zivilisation die Kultur zurückgeht, zumindest von ihrer ureigensten Quelle, dem stets im Religiösen wurzelnden Empfinden, abgedrängt wird. Unsere realistische Naturerkenntnis lässt die feinsinnige, im seelischen Bereich verankerte Kultur mehr und mehr absinken.Aus solcher Überlegung heraus muss man zu der Folgerung gelangen, dass jene Menschen mit ihrer im Vergleich zu unserer Situation äußerst primitiven Zivilisation doch eine hohe Kultur besessen haben müssen - eine Kultur, die, ihren Lebensverhältnissen entsprechend, noch unendlich weit von der ägyptischen Frühkultur der ersten Dynastien (um 2600 v. Chr.) entfernt war.

In diesem Zusammenhang - unser Exkurs wird zu der eingangs gestellten Frage zurückführen - ist es erforderlich, die afrikanischen Frühkulturen in die Betrachtung einzubeziehen. Die fehlgeleitete Christianisierung des Schwarzen Erdteils hatte, auch in völliger Verkennung, eine seit Jahrhunderten und wahrscheinlich schon seit Jahrtausenden bestehende Frühkultur zum Teil verächtlich gemacht, zum Teil gänzlich zerstört. Dabei erbrachten die jüngsten prähistorischen Forschungen gerade in den Gebieten der nördlichen Sahara ganz neue Erkenntnisse. Während in Europa der Übergang vom Jäger zum ansässigen Bauern und Viehzüchter eine verhältnismäßig kurze Zeit beanspruchte, blieb der Afrikaner Jäger und vielleicht auch Nomade, bis die

Überfremdung im 18. und 19. Jahrhundert einsetzte.

Daraus ergibt sich, dass die Lebensformen in jeder Beziehung - Wirtschaft, Handel, Kunst und soziale Verhältnisse - länger in ihrer Urwüchsigkeit erhalten blieben und es vielfach auch heute noch sind.

In den vor etwa zwei Jahrzehnten entdeckten Höhlen im Tasili-Gebirge der Sahara hatte Henry Lhote1) unter den zahlreichen Darstellungen auch solche gefunden, die Frauen mit Blumenkränzen im Haar zeigen. Man wird an ostasiatische Gepflogenheiten erinnert, wenn Blumengewinde zum Gruß ankommenden Gästen umgehängt werden. Eine andere, wesentlich vordringlichere Frage erwächst: Welche Blumen mögen das wohl gewesen sein? Es ist verständlich, dass man aus derartig primitiven Zeichnungen keine botanischen Rückschlüsse ziehen kann. Und doch genügen solche Bilder, um zu beweisen, dass die Menschen vor rund zehntausend Jahren keineswegs nur materiell eingestellt waren, dass sie vielmehr auch „höhere Gedanken“ mit anderen Worten, eine gewisse Kultur und damit einen Schönheitssinn besaßen.

Der Grund zur Verwendung von Blumen in der vorgezeichneten Weise ist leicht zu rekonstruieren. Er entspringt dem instinktiven Bedürfnis der Art- und Rasse-Erhaltung. Der Reiz des Gegengeschlechtlichen brachte unweigerlich das Problem der Auswahl. Dabei muss betont werden, dass kaum ein anderer Begriff so viel (und wahrscheinlich auch so oft) Veränderungen erfuhr wie gerade der der Schönheit. Zu jener Zeit, als die Wandbilder im Tasili-Gebirge entstanden, waren die ursprünglichen, rein materiellen Auffassungen bestimmt längst überwunden. Die Venus von Willendorf, etwa dreißigtausend Jahre alt, repräsentiert mit ihrer überdimensionalen Körpergestalt noch die Forderung nach der notwendigen Fruchtbarkeit, indessen zwanzigtausend Jahre später bereits figürliche Darstellungen auftauchen, die an die weitere sechs- bis achttausend Jahre jüngeren graziösen Gestalten der ägyptischen Hochkulturen angrenzen. Jene Frauengestalt, die zwar noch massiv in der

Figur, doch schon mit dem erwähnten Blumengebinde an die Felswand gemalt war, dürfte als Ausgangspunkt zur Beantwortung der gestellten Frage gelten.

Die Wahl des gewünschten Gatten ließ eine Rivalität aufsteigen, die zum Schmücken des Körpers ermunterte, um sich damit von den Gleichgeschlechtlichen zu unterscheiden. Hierzu gab es vielerlei Hilfsmittel. Von den bunten Erden, mit denen man bestimmte Körperpartien bemalte, über die fester haftenden Tätowierungen, bis zu Blumengewinden, teils als Kopfschmuck, teils als Bedeckung der Scham (vielleicht nicht ohne Anreiz der Neugierde und Begierde), reichte die Wahl.

Die Frage nach der Art der Blumen - botanisch gesehen - muss unbeantwortet bleiben. Fraglos waren es wohlriechende Blüten und Pflanzenteile, die nun nicht, wie vielfach fälschlicherweise angenommen wird, den Körpergeruch verdecken, sondern vielmehr noch unterstreichen sollten. Bekanntlich ist der Körpergeruch in den südlichen Gegenden für unsere Begriffe unangenehm und abstoßend; im Zusammenhang mit der Erotik aber wird gerade dieser wieder gewertet. Bei den Völkern jener vergangenen Epochen mag es anders gewesen sein, was aus manchem Gehabe noch erhaltener Naturvölker hervorgeht.

Also versuchten es die Frauen - so besagen wenigstens die achttausend Jahre alten Bilder - mit Blüten, die möglicherweise einen intensiven Geruch verbreiteten, also dem heutigen Wissen entsprechend zumindest ätherische Öle enthielten. Henry Lhote1) schreibt von den Tamrit-Zypressen, die er inmitten der Steinwüste der Saharagebirge fand, dass diese zu den
größten Sehenswürdigkeiten der Sahara gehören:

„Früher kamen diese Bäume im Hoggar vor, wo vor einigen Jahren (vor 1956, d. Verf.) ein alter Stamm gefunden wurde. In unserem Standquartier in Ti-n-Bedjedi hatte Sermi (ein Teilnehmer der Expedition, d. Verf.) ein Viertel des Stammes in das Kohlenbecken geworfen, und sofort stieg ein balsamischer Duft empor.“

Nach der Sprache des Tuarek-Stammes, der dort ansässigen arabischen Bevölkerung, heißt diese Zypresse „tarut“ und wird von den Botanikern als Cupressus dupreziana gedeutet. Wenn man bedenkt, dass - wie Kerner-Hansen (Pflanzenleben, Leipzig 1913) angibt - Zypressenarten bis zu dreitausend Jahre alt werden, dann geht man gewiss nicht fehl, wenn man in dieser Zypresse, die - teils in ihren Ästen und Zweigen, teils aber auch in den Blättern - ätherisches Öl enthält, eines jener Gewächse vermutet, die schon in frühester Zeit als Duftträger erkannt und genutzt wurden. Diese Vermutung wird durch die Kosmetochemie bestätigt. Nach Angabe von Paul Jellinek2) gehört allerdings das terpenfreie Öl der Cupressus fastigiata und auch das der Cupressus sempervirens zu den stark erotisierenden ätherischen Ölen und findet Verwendung als Zusatz zu Eau de Cologne und Fougère.

Jellinek bemerkt hierzu: „Das terpenfreie Zypressenöl besitzt eine Geruchsnote mit starken Anklängen an graue Ambra, die beim terpenhaltigen ätherischen Öl fast völlig überdeckt wird, allerdings mit einer etwas säuerlichen Nuance, so dass es an die Gerüche der Kopfhaar- und Pubesregion des blondhaarigen Typus denken lässt.“

Doch die letzte Bemerkung könnte fast konträr klingen; denn in jenen Gebieten lebten vornehmlich, man darf sogar sagen, fast ausschließlich schwarzhaarige Menschen. Jedoch dieser Hinweis von Jellinek muss ja nicht gerade derart schwerwiegend sein, dass dadurch die These von einem der ältesten ätherischen Öle in seinem biologischen Aspekt aufgehoben würde.

Es besteht selbst die Möglichkeit, und diese Behauptung ist wiederum von vorgeschichtlichen Daten untermauert, dass der Mensch, als er sich des Feuers zu bedienen verstand, auch das wohlriechende Element in seiner Isolation aus den geborstenen Zellen und nur in seiner ätherischen Gestalt kannte. Bekunden doch Hunderte von schriftlichen Überlieferungen, dass die Opferfeuer dann von besonderem Wert waren, wenn sie einen wohlriechenden Rauch aufsteigen ließen. Dieser Grundgedanke hat sich ja in den Räucherpulvern und ihren Derivaten bis auf den heutigen Tag erhalten. Wie wir von der analytischen Chemie erfahren, enthalten sie, neben einem unbekannten Alkohol, Bornylester, l-Cadinen, d-Camphen, Caren, Cedrol, Cymol, Furfurol, d-Limonen, dα-Pinen, Sabinol, d-Sylvestren, d-α-Terpineol und andere Terpenverbindungen. Alle diese Komponenten sind bekanntlich auch in anderen erogenwirkenden ätherischen Ölen zu finden.

Außer dieser Zypressenart wird es in prähistorischen Zeiten jedoch noch andere Mittel gegeben haben, die Aufmerksamkeit des anderen Geschlechtes auf sich zu lenken. Vor allem wird man den leuchtendbunten Blüten der verschiedensten Pflanzen Beachtung geschenkt haben. Auch hier ist es kaum möglich, irgendwelche zu nennen - es sei denn, man greife wiederum auf nachfolgende Überlieferungen zurück. Hinzu kommt noch, dass die Geruchsempfindung, wie schon gesagt, recht verschieden gewesen sein mag. Eines jedoch kann als unbedingt feststehend angenommen werden: die Intensität der Blumendüfte. Je kräftiger diese waren und je länger sie anhielten, umso begehrenswerter müssen sie wohl gewesen sein.

Über die Frage, ob der Mann allein das Recht des Sichschmückens besaß, wie verschiedene Kulturhistoriker vermuten, oder ob es die Frauen gleicherweise taten, bleibt unbeantwortet. Die erwähnten Höhlenzeichnungen im Tasili-Gebirge stellen nur blumengeschmückte Frauengestalten dar, und auch die tätowierten Körper sind weiblicher Natur.

Da Blüten gar zu rasch ihre Farben verloren und den Duft dazu, die Blumenkränze im Alltag lästig, zumindest einem schnelleren Verschleiß ausgesetzt waren, fand man den Weg zur Bemalung. Diese wurde nicht allein auf die Haut aufgetragen, auch die Zähne wurden mit auffallenden Farben verschönt. Leider verblassten die Verzierungen nur zu rasch, weshalb man sich zum Einritzen und Einbrennen von Ornamenten und Figuren entschloss. Sind auch die bildhaften Wiedergaben in den Felsenhöhlen recht primitiv, so lassen sie doch erkennen, dass es wohl so gewesen sein muss.

Um Blumendüfte auf längere Zeit zu erhalten, drückte man sie einfach auf der Haut aus. Das austretende ätherische Öl oder die balsamischen Stoffe teilten sich dem Körper mit und wurden auf diese Weise zum. ersten Parfüm. Jahrtausende zuvor kannte man selbstverständlich die gleiche Kunst, und aus der einmal gemachten Beobachtung erwuchs der Gedanke, recht viele solcher wohlriechenden Pflanzen beziehungsweise Pflanzenteile zur Hand zu haben. Anbau und Einsammeln nahmen ihren Anfang, wobei der
erstere verständlicherweise zurückblieb, zumal die Flora in den meisten Fällen eine Überfülle von „Grundstoffen“ bot.

Auch das Einsammeln war nicht einfach; damit trat die Frage nach dem Aufbewahren in den Vordergrund. Leider geben die Höhlenzeichnungen hierüber keinerlei Aufschluss. Das lässt darauf schließen, dass man sich bei einer immerwährenden und ganzjährigen Vegetation keine Sorgen zu machen brauchte. Die harzhaltigen Hölzer werden immerhin den Vorzug behalten haben. Aus den Erfahrungen vorausgegangener Generationen - und derlei vererbt sich ja sehr leicht und bestimmt von der Mutter auf die Tochter - entwickelte sich im Laufe der Zeit jene Parfümierungskunst, über die ägyptische Papyri und Schriften des Alten Testamentes, um nur diese zu nennen, Aufschluss geben.

Die vorliegende Betrachtung erhebt nicht den Anspruch, eine genaue Ortsbegrenzung anzuerkennen. Es ist vielmehr versucht worden, eine summarische Darstellung der prähistorischen Parfümierungskunst zu geben.


Literatur
1. Lhote, Henry, Die Felsenbilder der Sahara, Würzburg 1958
2. Jellinek, Paul, Die psych. Grundlagen der Parfümerie, Heidelberg 1951




Aus dragoco report 09/1973
Mit freundlicher Genehmigung

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