Das wohlriechende Veilchen, Viola odorata
Hans Rainer
Keine Blume begrüßen wir mit so großer Freude wie das erste Veilchen. Wir erblicken in ihm einen untrüglichen Boten des Frühlings. Das wohlriechende Veilchen, auch März-Veilchen genannt, blüht vom März bis April. Es kann so früh im Jahre grünen und blühen, weil es ein ausdauerndes Gewächs ist, das die Baustoffe für die jungen Triebe einem Vorratsspeicher entnimmt. Dieser wird vom Stamme gebildet, der nur wenig aus dem Erdboden hervorragt, mehrere Nebenwurzeln treibt und ein Büschel von Blättern trägt. Die Flächen der jungen Blätter sind von beiden Seiten tütenförmig zusammengerollt. Durch diese Form sind die zarten Blätter vortrefflich gegen zu starke Verdunstung geschützt. Die Blüte ist zweiseitg-symmetrisch. Neben 5 grünen Kelchblättern hat sie 5 violette Blütenblätter und ebenso viele Staubblätter. Die Blüte wird von Insekten, besonders Bienen und Hummeln bestäubt. Außer den „Frühlingsblüten" bringt das Veilchen später im Jahr andere, aber unscheinbare duft- und nektarlose Blüten hervor, die sich nicht öffnen und demnach von Insekten unbeachtet bleiben. Aus diesen Sommerblüten entstehen infolge Selbstbestäubung regelmäßig Früchte. Zu der Familie der Veilchenarten gehören: Rauhes Veilchen (Viola hirta), Hunds- Veilchen (Viola canina), Waldveilchen (Viola silvatica). Die wichtigste Art, Viola odorata, findet sich in weiten Teilen Europas und Amerikas, auch in Asien und Afrika.
Das Veilchen war den alten Griechen ein Symbol für die wiedererwachende Natur im Frühling. Angeblich soll Zeus das Veilchen geschaffen haben, um seiner Geliebten Io zu helfen. (Das griechische Ion bedeutet Veilchen). Des Zeus Gattin Hera dürfte von dem Zeit- vertreib ihres Göttergatten etwas geahnt haben und verfolgte Io mit argwöhnischen Blicken. Zeus wusste sich zu helfen und verwandelte Io in eine geheiligte weiße Kuh. Da die Kräuter der Wiesen zu bitter und wenig schmackhaft waren, schuf er das süße Veilchen als besonderes Futter für das heilige Tier. Noch im 17. Jahrhundert wurden Abkochungen von Veilchenblättern und Veilchenblüten bei Herzbeschwerden, Entzündungen, Schlaflosigkeit u. a. als Tee verwendet oder als Umschlag auf die erkrankten Körperteile gelegt. Veilchenparfüm ist seit alters' her wegen seines feinen und zarten Geruches beliebt. Man gewinnt auch seit langem mittels Enfleurage die natürlichen Duftstoffe aus verschiedenen Veilchen- arten. Unter letzteren liefert das Viktoria-Veilchen das stärkste Produkt. Das Parma-Veilchen muss mindestens 4 Jahre alt sein, ehe es sich zur Extraktion eignet. Diese beiden Arten, das Viktoria- und das Parma-Veilchen, sind die hauptsächlichsten Ausgangsstoffe zur Herstellung natürlicher Veilchenparfüms. Die Gewinnung dieser natürlichen Riechstoffe bereitet mancherlei Schwierigkeiten, besonders, weil die gepflückten Blüten sehr rasch ihren Duft verlieren. Man pflückt sie deshalb am Morgen, um sie dann sofort dem Extraktionsverfahren zu unterwerfen. Sowohl aus den Blüten als auch aus den Blättern erzielt man nur geringe Ausbeuten, so dass diese natürlichen Veilchenprodukte außerordentlich teuer sind. Deshalb war man schon immer bestrebt, durch Mischen von künstlichen Riechstoffen und ätherischen Ölen Veilchen-Kompositionen herzustellen. Erst mit der Entwicklung des Ionons durch Tiemann und Krüger im Jahre 1893 ergab sich die Möglichkeit, synthetische Veilchenparfüme herzustellen. Das Ionon, ein Gemisch dreier isomerer Ketone, α-, β- und γ-Ionon, besitzt im frisch destillierten Zustand einen an Zedernholz erinnernden Geruch. Erst in sehr starker Verdünnung tritt der Veilchengeruch hervor. Später ist es gelungen, die isomeren in reiner Form herzu- stellen. Das α-lonon übertrifft dabei das (β-lonon an Feinheit und Reinheit des Veilchengeruches, letzteres hat eine mehr herbere, holzige Note, wie sie in vielen Fällen erwünscht ist. Das Methylionon, ein anderer viel gebrauchter Veilchenriechstoff, besitzt eine besondere Geruchsschattierung. Nach Ablauf der Ionon-Patente wurden diese Riechstoffe von verschiedenen Fabriken hergestellt und mit unterschiedlichen Bezeichnungen und Reinheitsgraden in den Handel gebracht.
Lange Zeit war über ein Vorkommen der Ionone in Naturstoffen nichts bekannt, bis vor einigen Jahren Penfold und Philipps das α- und (β-Ionon im Öl von Boronia megastigma nachweisen konnten. Naves fand diese Substanzen weiterhin im ätherischen Öl der Costuswurzel und Bastas im Blütenöl von Lawsonia inermis.
Der natürliche Blütengeruch vom Veilchen ist etwas anders als jener der α- und (β-Ionone und auch als der des Irons, das im lrisoel gefunden wurde.
Es ist aber durchaus möglich, dass der Träger des natürlichen Veilchengeruches das γ-Ionon ist, weil dieses ebenso wie die α- und β-Ionone die Eigenschaft hat, die Geruchsnerven zeitweilig abzustumpfen. Diese rein subjektive Erscheinung der „Veilchen- Geruchsmüdigkeit" muss man bei der Beurteilung von Veilchengerüchen beachten. Bei allen Parfüms' ist ein Reifen oder Altern erforderlich, um eine Geruchsharmonie (Abrundung) zu erzielen. Mischungen mit Veilchenriechstoffen benötigen einige Wochen, bevor sich der Duft voll entfaltet.
Aus dragoco report 08/1965
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