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Regionale Vielfalt

Gute Wanderer waren sie noch nie. Leistungsfähige Flieger sind sie nicht. Und schwimmen können nur die wenigsten Arten. Kurzum: Die Samen der Blumenwiesenpflanzen sind ziemlich auf ihren Geburtsort fixiert.Für die meisten Arten stellt ein Fluß schon ein unüberwindliches Hindernis dar. Genauso ist es mit Arten, die heute als Spezialisten auf die Besiedlung von Kuppen beschränkt sind, aber durch intensiv beackertes Kulturland voneinander isoliert sind. Wenn ein Küchensellensamen maximal fünf Meter Luftweg zurücklegen kann, landet er mit Glück auf dem Trockenrasen seiner Eltern, im Unglück auf dem angrenzenden Maisacker. Diese Inselsituation charakterisiert heutzutage nahezu sämtliche seltenen Wildpflanzen. In der ausgeräumten Landschaft fehlen Bio-
toptrittsteine und Vernetzungsbrücken. Biologen wissen, was geschieht, wenn Inselpopulationen unter sich bleiben. Im negativen Fall entwickeln sich über Inzucht untaugliche Nachkommen, weswegen Einzelstandorte eine Minimalgröße haben müssen. Positiv betrachtet selektiert die Evolution aber auf die Dauer von Jahrhunderten und Jahrtausenden spezielle Anpassungen an den Standort heraus. Die Wiesenwitwenblume in der Schleswig-Holsteinischen Schweiz hat eine andere genetische Ausrüstung als die vom fränkischen Main, die wiederum anders ausfällt als die Verwandten der gleichen Art im niederösterreichischen Waldviertel oder am norditalienischen Tennosee.
Solche genetischen Auslesen an den Standort muß man nicht sehen. Sie können geradeso im Erbgut der Zelle verborgen sein und sich nur zu bestimmten Extremsituationen auswirken. Hitze, Dürre, Feuchtigkeit und natürlich Kälte sind harte Selektionsfaktoren. Es fällt nicht schwer sich vorzustellen, daß die Schweizer Küchenschelle in Zermatt anders mit Kälte umgehen mußte als eine eher Nieselregengewohnte Gruppe im regnerischen Teutoburger Wald.
Allerdings offenbart sich genetische Variabilität manchmal auch eindeutig. Das beste Beispiel sind hier Farbvariationen, wie sie etwa bei der Wiesenwitwenblume zu finden sind, die vom hellila,ja fast weißen Genotyp über weitverbreitete blaulilafarbene bis hin zu rötlichen Formen vorkommt. Ähnlich etwa spielt der Wiesensalbei mit dem Farbkleid. Es schwankt von dunkellila über hellila bis hin zu rötlichen und sogar weißen Exemplaren. Wildpflanzen mit unterschiedlichem, auf einen bestimmten Standort festgelegtem Erbgut nennt man Ökotypen. Der Agrarökologe Frank Molder hat sich um die Erforschung ihrer Eigenschaften einen Namen gemacht. Am Institut für Bodenkunde und Bodenerhaltung der Uni Gießen führte er vieljährige Untersuchungen zu diesem Thema durch. Die Ergebnisse sind bahnbrechende Erkenntnisse von hoher Bedeutung für die Praxis. Er beschränkte sich auf vier Wildblumenarten, die in Wirtschaftsgrünland und Halbtrockenrasen verbreitet sind: Gemein Schafgarbe, Wilde Möhre, Kleine Bibernelle und Kleiner Wiesenknopf. Sie sind fester Bestandteil eine großen Zahl von Blumenwiesenmischungen.
Nachdem er die Samen von verschiedensten Standorten aus Tirol, dem nördlichen Vogelsberg, vom Oberrheingraben und der Schwäbischen Alb gesammelt und ausgesät hatte, war die Überraschung groß. Die Ökotypen unterschieden sich teilweise erheblich voneinander. Nicht nur die Blütezeit und Blütenlänge, sondern auch die Dichte der Blüte, Wuchshöhe oder die Wuchsform konnten teilweise so unterschiedlich sein, als ob es sich um verschiedene Arten gehandelt hätte. Besonders groß waren die Differenzen der Ökotypen bei Schafgarbe und Kleinem Wiesenknopf ausgebildet, während Wilde Möhre und Kleine Bibernelle weniger auffällig variierten.
Sehr schnell zeigt sich, daß bestimmte Ökotypen für spezielle Begrünungsaufgaben wesentlich geeigneter waren als Pflanzen von anderen Wuchsorten. Frank Molder erkannte ferner, daß bestimmte Naturstandort anscheinend eine größere genetische Variationsbreite aufbrachten, als andere.
Die allergrößten Differenzen ergaben sich im Vergleich zu „normalem“ Saatgut aus dem weltweit vermarktendem Handel, obwohl auch hier ausschließlich „Wildformen“ geordert worden waren. Wildformen aus dem Handel zeigten im Vergleich mit echten Wildformen folgende krasse Unterschiede.
Uniformität: Hier gab es in der Regel nur eine kleine Merkmalsvariation. So sahen etwa bei Handels-Schafgarben die Pflanzen nicht nur alle gleich aus, sondern blühten auch zur gleichen Zeit und wuchsen gleich hoch. Die dürften eindeutig Zuchterscheinungen sein, eine Folge der jahrelangen Selektion auf bestimmte Eigenschaften. Es ist bekannt, daß uniforme Arten weniger widerstandsfähig gegen Umweltveränderungen sind als Ökotypen mit breiten genetischen Potential.
Blühdauer Auch die Blütezeit war durch die Zuchteffekte offensichtlich bereits verlängert. So blühte Handelssaatgut der Schafgarbe 56 Tage, die Wildformen im Schnitt nur 44 Tage.
Massenwuchs Anders als Wildschafgarben brachten die getesteten Handelsformen viel mehr Biomasse auf. Sie waren größer, ausladender. Für den Bauern sind solche Turbo-Typen sicherlich nützlich, nicht aber in der Natur.
Aggressives Konkurrenzverhalten Durch den buschigen überhängenden Wuchs und über weitaus mehr Ausläufer hatten Handelsformen einen entscheidenden Standortvorteil gegenüber standortheimischen Arten. Sie verdrängten aber nicht nur die Verwandtschaft, sonder auch andere Wildblumen und Gräser. Geht es um einen schnellen Bestandschluß, mag das kurzfristig von Vorteil sein, Mit dem ortsansässigen Ökotyp aber verschwindet nicht nur eine unschätzbar wertvolle natürliche Vielfalt, sondern auch eine genetische Grundausrüstung für die herrschenden Umweltbedingungen.
Ökotypen sind bislang Stiefkinder von Naturschutz und Landschaftspflege. Kaum einer kennt sie, noch weniger beachten das hochaktuelle Thema bei der Verwendung von Wildpflanzen. Wer genetisch einheitliche Ökotypen aus dem Handel in Natur ausbringt, verstößt nicht nur gegen den Artenschutz, sondern fördert ein gigantisches Freisetzungsexperiment mit unbekanntem Ausgang.
Genetische Vielfalt aber ist das Lebensprinzip schlechthin. Geneische Monotonie führt in eine Sackgasse. Wir haben die Wahl.

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