Der Duft der Symbolik
Gudrun Cohnen
Wohlgerüche waren bei den alten orientalischen Völkern ebenso wie bei den Griechen und Römern nicht nur einfaches Gebrauchsgut, sondern Lebensbedürfnis. Im Alltag, aber ganz besonders im religiösen Kult, waren flüssige Geruchsstoffe oder Räucherwerk von äußerster Wichtigkeit.
An vielen Stellen der Bibel, wie überhaupt in der alten Literatur, werden die Wohlgerüche erwähnt. Als Beispiel gelte folgende Stelle aus „Exodus“, Kapitel 30: Der Herr sprach zu Moses also: „Nimm dir Balsamessenz und reine Myrrhe fünfhundert, und Zimt halb so viel, zweihundertfünfzig, Gewürzrohr, zweihundertfünfzig, und Cassia, fünfhundert nach dem heiligen Ring, und einen Krug voll Olivenöl! Und mach es zu heiligem Salböl, zu würziger Salbe, einem Salbenmischerswerk! Ein heilig Salböl soll es werden! Salbe damit das Festgezelt und die Lade des Zeugnisses, den Tisch und alle seine Geräte, den Leuchter und sein Zubehör, den Rauchaltar, den Brandopferaltar und alle seine Geräte, das Becken und sein Gestell! So weihe sie, dass sie hochheilig seien! Wer sie berührt, wird gleichfalls heilig. Auch Aaron und seine Söhne sollst du salben; so weihe sie, dass sie mir Priester seien! Ihr dürft in seiner Mischung für euch nichts Gleiches machen. Ein heilig Ding ist es. Ein heilig Ding bleibe es euch.“ Der Herr sprach zu Moses: „Nimm Spezereien, Tropfharz, Räucherklaue, wohlriechendes Harz und reinen Weihrauch, alles zu gleichen Teilen! Mach daraus ein Räucherwerk, eine würzige Mischung, eines Salbenmischers Werk, scharf, rein, ein heilig Ding!
Wer gleiches macht, daran zu riechen, werde aus seinen Volksgenossen gestrichen.“
Auch in der christlichen Liturgie ist das Räucherwerk nicht fortzudenken. Meist versinnbildet das Wort „Wohlgeruch“ etwas, sowie auch der wirkliche Geruch bei der kultischen Handlung Symbol für etwas ist.
Weihrauch, Myrrhe und Aloe, daneben Balsam und Narde stehen symbolisch für etwas sehr Feines, Geistiges, das nur unbewusst erfasst werden kann. Der Duft leitet vom Irdischen ins Überirdische, und umgekehrt drückt sich Überirdisches im Wohlgeruch aus. Bei der katholischen Taufe werden dem Täufling Ohren und Nase berührt mit dem Wort „Ephpheta“, das heißt: „Tue dich auf zum lieblichen Wohlgeruch.“ So soll er aufnahmefähig werden für den Hauch aus Gottes Kraft.
Wohlgerüche stehen symbolisch für Tugenden... Weisheit, Mäßigkeit, Starkmut, Klugheit usw. Jeder einzelnen Duftpflanze werden darüber hinaus besondere Eigenschaften zugeschrieben.
Balsam
Opobalsamum ist der gelbliche, aromatische Saft, der im Sommer aus der Rinde eines tropischen Strauches, des Balsamodendron, in sehr geringen Mengen träufelt. Zu höherem Ertrag werden Einschnitte gemacht, doch erreicht man damit eine nicht so gute Qualität. Nach Plinius sollte nur mit Glasscherben, Knochensplittern oder scharfen Steinen geritzt werden, nicht mit Messern, und zwar nach Osten zur aufgehenden Sonne hin. Balsam kommt aus -dem Hebräischen - „Basam“ gleich wohltuend, angenehm. Balsam war früher ein beliebtes Heilmittel bei Verletzungen und hat außerdem die Kraft, alles, was man damit bestreicht, vor Fäulnis zu bewahren. Wegen seines kräftigen, herben Geruches wurde er auch gern von den Männern der Antike benutzt. Die Königin von Saba soll die ersten Balsamstauden nach Palästina, in die Gärten Salomons, gebracht haben. Echter arabischer, palästinensischer oder indischer Balsam ist dem „Chrisma“ (Salböl der katholischen Kirche) für sakramentale Salbungen als wichtigster Bestandteil beigemischt. Balsam wird an verschiedenen Stellen der Bibel mit der göttlichen Weisheit verglichen, im alltäglichen Sprachgebrauch mit Linderung, Freude gleichgesetzt: „Das ist Balsam für mich.“
Myrrhe
Myrrhe ist der wohlriechende, bitterschmeckende Saft, der aus der Rinde der Gattung Commiphora (Balsambaum) sickert. Getrocknet bildet der Saft, „Stakte“ genannt, durchsichtige Körner von weißlicher bis zu dunkelroter Farbe, die beim Verbrennen Duft abgeben. Flüssige Myrrhe war in der antiken Kosmetik sehr beliebt. Im 2. Buch Esther, Vers 12, lesen wir, dass die Frauen am Hofe des Assuerus sechs Monate lang die Haut mit Myrrhe pflegen mussten. Man besprengte Kleider und Betten damit und trug getrocknete Myrrhe an der Brust, um den erquickenden, gehirnstärkenden Duft einzuatmen. In der alten Medizin wurde Myrrhe auch als Betäubungsmittel eingesetzt, und die Ägypter brauchten sie zur Einbalsamierung ihrer Mumien. Die drei Weisen brachten dem Christuskind unter anderem Myrrhe. Myrrhe als Mittel gegen die Verwesung - in der Bibel erwähnt, dürfte es symbolhaft für die Abtötung der Sünde stehen: Christus überwand die Erbsünde.
opferaltar vor dem Vorhang des Allerheiligsten verbrannte man jeden Morgen eine Mischung aus „Stakte“, Onyx, Galbanum und Weihrauch. Alles war zuvor von den Leviten fein zerstossen und mit Salz, dem Bundessymbol, vermischt worden. Die Rabbiner fügten dann noch zwölf Spezereien hinzu. Es war bei Todesstrafe verboten, den Wohlgeruch zur eigenen Labsal zu verwenden. Die Rauchwolken, mit denen der Hohepriester einmal im Jahr im Allerheiligsten die Bundeslade umhüllte, sollten Versöhnung bewirken und ihn vor dem Tod bewahren; denn niemand durfte den Thron des Allerhöchsten sehen.
Bei den römischen Cäsaren galt die Beräucherung als Ehrenbezeigung. Es war Sitte, angesehenen Personen mit Duft „das Antlitz zu erfrischen“. Im Tempel, vor dem Angesicht der Götter, wurde die Beräucherung als anbetende Huldigung geübt. Die an der Kultfeier teilnehmenden Menschen sollte der Weihrauch läutern, anregen, erheben und feierlich stimmen. Man glaubte auch an seine Fähigkeit, eine Verbindung mit den höheren Mächten herzustellen. Im Aufsteigen und Ausbreiten des Weihrauchs sah man die Entfaltung der Gottheit. Weihrauch war wirklicher Gottesduft. Als Opfer dargebracht, sollte er die Kraft des Gottes mehren, ihn erfreuen und den Menschen geneigt machen.
Wie in der jüdischen Religion, so gilt auch in der christlichen der Weihrauch als Symbol der Gottesverehrung. „Wie Weihrauchduft steigt mein Gebet zu dir empor.“ In der Ostkirche ist der Gebrauch von Weihrauch besonders aufwendig. Sie folgt dem Beispiel der drei Weisen, die den neugeborenen Christus durch diese Gabe als Gott verehrten. Bei feierlichen Hochämtern werden Altar, Kreuz, das Evangelienbuch als Wort Gottes, die Opfergaben, Priester und Laien beräuchert. Kreuzförmiges Schwingen drückt die Beziehung zum Kreuzesopfer aus, ringförmiges Schwingen soll die Gaben einkreisen und als Gott gehörig absondern. Fünf Weihrauchkörner werden auch der Osterkerze eingefügt. Bei der Einweihung eines Altars werden drei Weihrauchkörner ins Sepulcrum eingemauert, deren Aufgabe es sein soll, von hier fortan Gebete und Opfer zu Gott emporzutragen. Der Bischof legt dann auch in alle vier Ecken und in die Mitte des Altars je fünf Körner und fünf kreuzförmige Kerzchen. Alles wird unter Allelujagesängen angezündet zur Herabrufung des Heiligen Geistes.
Auch in der Totenliturgie wird Weihrauch gebraucht, um den Toten als zu Christus gehörig zu kennzeichnen, aber auch um Dämonen abzuwehren. Hier macht die katholische Kirche Zugeständnisse an alte heidnische Bräuche, ebenso wie beim Ausräuchern der Häuser und Ställe in den zwölf Rauhnächten zwischen Weihnachten und Neujahr.
Lorbeer
Wegen des aromatischen Geruchs und Geschmacks seiner Blätter und Beeren - dieser „göttlichen“ Eigenschaften - war der Lorbeer dem Apollo geweiht. In den Heiligtümern zu Ehren des Apollo fehlte niemals ein Lorbeerwäldchen. Der Duft des Lorbeers vertreibt nicht nur den Geruch von Moder und Verwesung, er fördert auch dichterische Inspiration und die Kraft der Weissagung. Die Seherin von Delphi kaute vor ihren Orakelsprüchen Lorbeerblätter. Brannte der Lorbeer knisternd, so war das ein gutes Omen, andernfalls ein schlechtes.
Bei den Ärzten des Altertums galt der Lorbeer als Universalheilmittel; er wurde an die Türen der Krankenzimmer und an die Statuen des Aeskulap (griech. Asklepios, Gott der Heilkunde, Sohn des Apollo) gesteckt.
Dem heimkehrenden Sieger hing man Lorbeerkränze um, weil man glaubte, dass er dadurch von vergossenem Blut gereinigt würde. Diese Bedeutung verschwand allmählich, und der Lorbeer galt später einfach nur noch als Siegessymbol. Man sagt, dass der Lorbeer nie vom Blitz getroffen wird.
Safran
Der köstlich duftende, im Herbst blühende Safran (Crocus sativus) hat seit uralten Zeiten eine große Bedeutung gehabt- als Arzneimittel, als Gewürz- und Farbpflanze. In den ältesten medizinischen Schriften der Inder wird der Safran erwähnt, ebenso bei Homer und Hippokrates. Der goldfarbene Crocus sativus versinnbildet die Liebe. Wie Gold als kostbarstes der Metalle gilt, so gilt die Liebe als die edelste der Tugenden.
Rose
Die Rose war in ältester Zeit als Wild- oder Hundsrose in Zentralasien bekannt. Das älteste Zeugnis für die Gartenrose in Babylon stammt von Herodot. In der Antike wurde mit Rosen viel Luxus getrieben. Rosenkränze sollten bei Gastmählern hirnstärkend und kühlend wirken und die Wirkung von übermäßigem Weingenuss dämpfen.
Bei den Germanen wurde die gemeine Hundsrose (Hage-, Heckenrose) zur Umhegung heiliger Bezirke verwandt. Die Edelrose wurde, von Mönchen in Klostergärten gepflegt, erst spät in Deutschland heimisch.
In der christlichen Symbolik war die Rose, besonders als Rose ohne Dorn, Sinnbild Marias. Seit dem 14. Jahrhundert wurde Maria daher oft in einer Rosenlaube abgebildet, so auf Stephan Lochners und auf Martin. Schongauers Gemälden Maria im Rosenhag. Seltener ist die Rose Symbol Christi, öfter Attribut von Heiligen, z. B. der heiligen Elisabeth. Die Gliederung des Kreises durch die fünf Rosenblätter wurde Ornament des Kirchenbaus und der Heraldik. Die Rose hat auch die Bedeutung des Rätselhaften. Aus der Anordnung der Blütenblätter lässt sich der fünfzackige Stern (Pentagramm oder Drudenfuss) ablesen, die uralte Zauber- und Bannfigur. Darum brachte man an den Decken alter Ratssäle, Weinstuben, Beichtstühle usw. plastisch Rosen an; denn Gespräche sub rosa durften nicht weitergetragen werden.
Wegen ihrer Schönheit, aber auch wegen ihres raschen Welkens, gilt die Rose als Symbol des Lebens. Die Heilige Schrift zählt sie zu all den duftenden Pflanzen, die die ewige Weisheit symbolisieren.
Veilchen
Schon im 6. Jahrhundert war der Glaube an die Heilkraft des Veilchens bekannt. Im 12./13. Jahrhundertwaren die Veilchen in höfischen Kreisen Gegenstand einer Frühlingsfeier, die seit dem 14. Jahrhundert in den Neidhartspielen parodiert wurde. Das duftende Veilchen (Viola odorata) sollte, zu Kränzen geflochten, die Stirn kühlen und Kopfschmerzen und Trunkenheit vertreiben. Das Veilchen gilt als Symbol der wiedererwachenden Erde, als Liebeszeichen und in der christlichen Symbolik als Zeichen der Demut.
Aus dragoco report 10/1977
Mit freundlicher Genehmigung
Hat Ihnen der Artikel gefallen?