Das arme Wort und die reichen Düfte
Eine türkische Schriftstellerin lässt die Charaktere ihrer Romane aus Parfümflaschen steigen, indem sie ihre Helden aus dem Feingeistigen der Glasstöpsel er-wittert, wie ich höre. Es wäre mir angenehmer, wenn ich behaupten dürfte: wie ich rieche; denn diese Türkin, die sich nachts auf dem Diwan mit Parfümflaschen stimuliert, übertrifft Schillers Sentimentalität für faulige Apfelgerüche erfreulich. Sie heißt Suzan Sozen und behandelt - wie man sich nach ihren Duftprinzipien denken kann - das Geistig-Erotische zwischen Mann und Weib. „Die Parfüms“, verriet sie die Quellentiefe ihrer Inspirationen „haben eine Art Persönlichkeit. Manche sind rauh, manche zart; andere romantisch, zärtlich, gefühlvoll, kräftig, melancholisch und zurückhaltend.“ Sie selbst tut kein Parfüm an sich, weil eine so sensible. Leda, die sich von den Geisterschwänen der Düfte erregen lässt, von einer einzigen Inspiration nicht leben könnte. Anders riecht das Heu den Pferden anders, wie wir wissen, den Verliebten und wie erst der Dichterin Suzan Sozen, die aus Heu einen unbeschreiblichen Helden hochsteigen lässt. Ich habe noch nichts von ihr gelesen, aber dieser Held aus Heu schwebt mir nach einem Blick auf ihre Skala weniger zurückhaltend als rauhgefühlvoll vor der Nase.
Das Unbeschreibliche ist das wahrhaft Verdrießliche an den Düften, und dieser Zustand dauert seit Menschengedenken unbehoben bis zum heutigen Tag. Mir scheint es leichter, einen Menschen aus einem Parfüm zu erschaffen, als diesem Menschen klipp und klar zu sagen, wie Reseden riechen, wenn er noch niemals Reseden gerochen hat. Hätte uns die Resede wie die ursprünglich vanillenwarm duftende Gladiole den Gefallen getan, sich zu einem gutaussehenden, aber geruchlosen Schönheits-Pfuiteufel heran-züchten zu lassen, so lebten wir heute zwischen dekorativen Resedenstengeln, ohne den Hauch einer Ahnung, wie betörend ihre winzigen Ahnen zu duften wussten. „Es war unbeschreiblich“, würde die arme Sprache stottern „unsagbar schön, unwahrscheinlich sanft...“ Und schon zittert über ihre Lippen Schweigen.
Die Parfümeure erklären sich bereit, einschlägig weiterzureden, wo sich das Wort der Dichter zurückzieht. Mit dem abgekarteten Rotwelsch ihrer Ester- und Äthersprache führen sie die Intimsphäre der Düfte an die mitwitternden Gehirnzellen kritischer Geruchs-Alchymisten. Sie zählen zu den letzten Mohikanern, deren Nasen sich bei Erwin Sacks Kommersbuch-Dithyrambus etwas denken können: „Dinitrobromanthrachinon, Alphaphenylacrosazon“, begann dieses gelehrte Lied nach der Singweise: Es braust ein Ruf wie Donnerhall ...`, „Benzol, Tuluol, Xylol, Naphthol, Phoroglucin, Guajacol, Propylamin, Butylamin, Kaliumisophthalat, Trochlorhydrin!“
Wäre ich organischer Chemiestudent, so liefen mir bei diesem organischen Preisgesang vermutlich Geruchsschauer ohne Ende über den Nasenrücken. Da ich nur Mensch bin, finde ich ihn übertrieben modern und abscheulich, obwohl er vor beinahe hundert Jahren gedichtet wurde. Ähnlich exakt, aber fast genau so unbeschreiblich ist der chemische Wortreichtum, den die Dufterklärung eines blühenden Kartoffelfeldes verschlingt. Das Blumige des Kartoffelblütenduftes, erfährt die ungebildete Nase des Duft-Zaungastes, könnte eine Kombination von Hydroxycitronellal mit Neroli, Jasmin und Jonquille wiedergeben. Dazu ein wenig Heliotropin und Vanillin, dann noch Phenylaethylalkohol, Phenylacetaldehyd, Citronellylformiat, Heptinkarbonsäuremethylester, Linalool, Laurinaldehyd, Rose und etwas Phenylessigsäureester und Terpentineol - so urwüchsig duftet ein Kartoffelfeld.
Irgendwie kamen die Menschen mit soviel Klarheit nicht zurecht. Aber nachdem die hingerissene Rosenfreundin Alma de L'Aigle einen eifersüchtigen Seitenblick auf das Duftvokabular der Weinkenner geworfen hatte, fragte sie empört : „Ist nicht den Rosen billig, was dem Weine recht ist?“ Die Weinexperten verständigen sich über die Seelen ihrer Fass- und Flaschengemeinde mit Ausdrücken wie stahlig, wuchtig, firn, glutvoll, mollig, spritzig. Jeder Weinkenner weiß unverzüglich, welche Wonnen oder Schrecken ein anderer erlebte, wenn er „stahlig“, „schmalzig“ oder „firn“ vernimmt, ob- wohl seine Erfahrungen mit dem wirklichen Geschmack von Stahlwaren oder vorjährigem Firnkorn nicht größer sind als die von Abstinenzlern. Da die Rarität des „absoluten Gehörs“ noch häufiger an- zutreffen ist als das „absolute Duftgedächtnis“, schien der großen Rosenfreundin ein Duftvokabular zur Verständigung unter Rosenmenschen unerlässlich. Die Elemente dieser Duftsprache verdankte sie dem eher philosophisch-poetisch als pharmazeutisch-chemisch verzückten Parfümeur Horst Maria Faber, der für Lavendelwasser, das mit Ambra angealtert war, beispielsweise das umschweifige, aber seltsam vorstellbare Duftbild fand: „Wenn Sie nach langen Monaten ein damit betupftes Kleid aus Ihrem Schrank nehmen, so weht Ihnen die Verträumtheit eines alten Klostergartens entgegen.“ Sein Duftbrevier kannte grüne, knospige, taufrische, samtige und melodische Düfte und inspirierte die Rosenfreundin, die Duftunterschiede ihrer Lieblinge mit Ausdrücken zu kennzeichnen, wie: ,,... als wenn man eine Schublade mit alten Erinnerungen aufzieht, als wenn regenfeuchtes Gras gemäht wird, als wenn ein schwarzhaariges Mädchen ein Kopftuch abnimmt und mit Heckenrosen füllt.“ Aus der Duftvision mit dem schwarzhaarigen Mädchen und ihrem Kopftuch erkennen wir die ungeheure Subjektivität dieser duftsprachlichen Verwegenheiten, denn schwarzhaarige Mädchen sind in ihren Düften so verschiedenartig wie die schwarzroten Rosenrassen, über deren Düfte sich Parfümeure, Rosenkäfer und
Geruchsfeinde gewaltig in die Haare geraten können. Aber es ist millionenmal besser als Gertude Steins hilfloses Gestammel: „Eine Rose ist eine Rose, ist eine Rose, ist eine Rose ...“. Das Vokabular Alma de L'Aigles für das Temperament der Düfte enthält Bezeichnungen wie „willig strömend, raumfüllend, scheu, leicht erschöpft, zögernd, luftselig, vogelleicht, weithin strahlend“, ihre Anleihen aus anderen Duftgebieten rufen sogar den herbdunstigen Pollengeruch im Innern von Bienenstöcken zu Hilfe, und besorgen sich die Schnupper-Metaphern „obstig, nach Lindenhonig, nach indischem Tee, nach Kinderpudding, nach Stangenkaneel, apfelblütig, nach geschälten Kochäpfeln“. Aus duftfernen Gebieten kommt, so unglaublich es klingt, das Schönste und Allerduftigste: ,,... feucht - naiv - sopranhaft - tiefer Alt - nach frisch gescheuertem Eichentisch - nach ungelüfteten Zimmern - nach besonnter Mädchenhaut - nach Unkrautecke (auch modrig) - morgenfrisch - besonnt - keusch - fürstlich - nach Mädchenhaut, die harzig nach Kiefernwald riecht...“
Im Revier des Düftedolmetschens ist das Mausen in benachbarten oder wildfremden Gärten an der Tagesordnung. Ohne Hochstapelei ins Blaue hinein, die bisweilen ins Schwarze trifft, ließen sich Düfte wie der des Phloxes überhaupt nicht beschwören. Denn kaum schwenkt ein resoluter Duft-Fabulierer einen Königslilienstengel und eine Jasminblüte ins Ungefähre und schickt die Seufzer ,frühherbstlich, melancholisch, herbbetäubend` hinterher, ersteht für alle, die Phlox jemals wahrgenommen haben, das Votivbild seines vollen Duftes. Karl Foerster, einer der blütengewaltigsten Gartenschöpfer, wurde aus der Tiefe seiner Blumenliebe zu einem der wortgewaltigsten Duftbildschöpfer: „Hinter dem Veilchengeruch“, konnte er sagen, „öffnen sich vielgestaltige, vergeistigte Dufttiefen. Die alten, rührenden Urdüfte wirken daneben fast dumpf und unerfahren. In Flieder- und Jasmindüfte ist ein Sturm fremdartiger Leidenschaften hineingefahren und hat die leise Volksliedschwermut hinweggefegt.“ Dieses hochgespannte und aufschlussreiche Pathos wurde in unserer auf Show gestellten Neonkultur vom Los der Balsaminen und Reseden ereilt, die von duftentseelten Effekt-Sensationen wie Polyantharose und Gerbera verdrängt worden sind. Foerster, der nun über Neunzigjährige, nannte uns schon vor drei Jahrzehnten Hungerfakire, die in den großen Glücksgebieten des Lebens fahrlässige Askese treiben, vor allem im Gebiet der Düfte, den „Wortführern und Wortlösern der Verschwiegenen.“ Der patriarchalische Karl Foerster stand als weitum witternder Zauberer Merlin zwischen aufspringenden Duftgeisiren und schwärmte von Duftmaskeraden, Duftlaunen, Duftkaskaden, Duftjuwelen, Duftgenies, vernahm die Kontrapunktik müder und reifer Düfte in jungen Jahreszeiten, das Saxophon der Kaiserkronengeruchstösse zwischen Hyazinthen, Krokus, Alpenkresse und Veilchen, sprach vom Duftheimweh nach einem transzendenten Süden, von der durchdringenden Zimtwürze des Diptams, an der man abends eine grüne Flamme anzünden kann: „Eine Himalajaglockenblume, innen bunt gezeichnet, hat sich mit Tigergeruch parfümiert, und eine winzige Zwergminze aus Gibraltar verblüfft alle schnuppernden Nasen... Die Königslilie aus China trägt schon mit einem Blumenstiel auf Tage einen Duft ins Zimmer, der jeden Eintreffenden betroffen macht, als käme er ins Innere eines ostasiatischen Tempels. Wie ein Geistergruß aus fernster Welt.“
Zwischen Plakat- und Schluddersprache hat sich das duftlösende Wort der Dichtung verflüchtigt, sein letzter Standort ist der Katalog der Gärtnereien.
Aus dragoco report 12/1965
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