Altchinesische Duftkultur
Horst Wagenführ*
Altchinesische Duftkultur
Die Ordnung des Weltalls war für Alt-China das Vorbild der Ordnung auf der Erde und unter den Menschen. Derjenige Mensch war tugendhaft, der in Übereinstimmung mit der Natur dachte und danach handelte. Die Harmonie in den chinesischen Künsten, in Bauten, Brücken, Landschaftsgemälden und Gärten war Ausdruck kosmischer Rückverbundenheit. Weil der Chinese so tief und seit alters her mit der Natur verbunden war und von ihr sein inneres Gleichgewicht empfing, konnte er so wundervoll fein empfinden. Das Menschenwerk musste mit der Natur harmonieren. Aus dieser Übereinstimmung gingen Kraftströme hervor, die die menschliche Kultur tief beeinflussten. Im Kosmos, in der Welt überhaupt, walteten gegeneinander wirkende Kräfte, gab es den Gegensatz von Yin und Yang, von weiblich und männlich, von hervorbringend und zeugend, passiv und aktiv, deren Einheit das Tao war, ein unübersetzbares Wort, das persönliche Gottheit, Vernunft, Sinn, Naturgesetz oder auch Weg bedeuten kann.
Blumen und Pflanzen
Das Weibliche fand sein anschauliches, greifbares Symbol in den Blumen. Mit einem reichen duftenden Flor war China gesegnet, ein Reich des Weichen und Zarten, dem das Werden angehörte'). Folgende duftende Blumen wurden genannt: Olea fragrans (KWEI-HWA), Camellia sesanyna (CHA-WA MO-LU-HWA), von der eine einzige Blüte genügte, um ein Zimmer zu durchduften, dazu eine Reihe wohlriechender Hölzer.
Im Chiking ist vom Sandelbaum die Rede: „Steig nicht durch unseren Gartenzaun“, sagt das Mädchen zum Buben, „brich nicht die Sandelpflanzen, die wir bauten.“ - Die Zedernfrucht pflegte man wegen ihres Wohlgeruchs in die Zimmer zu hängen. Andere Düfte spendeten: Sophantus rugosus, Aquilaria agallocha (= CH'EN-HSIANG), Nardostachys jatamansi (= KANSUNG), Bomeo Dryobalanops camphora (= LUNG-NAO-HSIANG), Boswellla lagbora (= JU-HSIANG) und Rosa banksia
(= MULESIANG).
Kein fernöstliches Volk versagte dem Lotos seinen Zoll (Nymphaea nelumbo, chines. LIEN-HUA). „LIEN“ bedeutet auch Zuneigung, so dass viele Liebesgedichte auf diesen doppelten Sinn anspielen. Liebeswerber und Lotospflücker wurden gleichgesetzt. Lotos, in China überaus hochgeschätzt, durfte in keinem Gartenteich fehlen. Jeder Teil der Pflanze hatte seinen Namen und wurde vielfach genutzt, als Nahrungs- und Genussmittel, Kosmetikum, Heilmittel usw. Aus den jungen Fruchtböden, Zucker und Jasminblüten bereitete man köstliches Konfekt. Der chinesische Dichter PO-CHU-I (742-846) hat den weißen Lotos folgendermaßen besungen:
Der weiße Lotos des Klosters Tung-Lin
Das Wasser an dem Norddamm von Tung-Lin Es ist so klar, man sieht den Grund darin. Der weiße Lotos wächst aus ihm empor, Dreihundert Knospen brachen licht hervor. Und herrlich schimmern sie bei heit´rer Luft, Der reine Wind trägt weithin ihren Duft.
Nach seinem Tode wurde dieses Gedicht auf kaiserlichen Befehl in Stein gemeißelt und im Park am HSING-SHAN (Weihrauchberg) aufgestellt).
Der Lotos war in China das Symbol der Reinheit und der Keuschheit. In der buddhistischen Kunst kehrte sein Motiv immer wieder.
Auch den Jasmin darf man nicht vergessen, dem ein schönes Volkslied gewidmet wurde:
Der Jasminstrauch
Sieh, wie hold ist dieser Blumenstrauß! Früh vom taubenetzten Strauch gepflückt, Nun von einer lieben Hand
Liebe kündend mir gesandt!
0 ihr duft'gen Blüten! Stunden so beglückt!
Schönste Blüte, lieblichste des Jahrs! Jedes Auge folgte wohl mit Neid,
Trüg' ich durch die Straßen dich,
Nein, zu andern bind' ich dich
Und daheim nur hab' ich meine Seligkeit.
In den östlichen Provinzen Mittelchinas und auf der Insel Hainan gedieh der Kampferbaum, der wertvolles Öl lieferte (Camphora officinalis bzw. Cinnamomum camphora, Laurus camphora). Die Gewinnung des Öles ist in der Materia Medica im einzelnen beschrieben). Von der Kassiapflanze (Cinnamomum cassia), die hauptsächlich in China kultiviert wurde, in den Provinzen Kwangsi und Kwantung, gewann man ein in der ganzen Welt bekanntes duftendes Öl.
Liebe zu Blumen
Der Blumenreichtum, den die Natur schenkte, wurde vom Chinesen mit Liebe aufgenommen. Selbst in der langen Reihe der chinesischen Herrscher waren einige wegen ihrer Blumenliebe bekannt. Ein solcher Blumenfreund war Kaiser HSÜANTS'UNG der T'angdynastie (685-762), der die Blumen mit winzigen goldenen Glöckchen behing, um die Vögel zu verscheuchen. Wenn der Frühling kam, brach er mit seinem Hofstaat auf, um die Blumen mit lieblicher Musik zu beglücken. Ein chinesischer Dichterphilosoph TAO YÜAN MING unterhielt sich mit wilden Chrysanthemen, und bei seinen Wanderungen unter blühenden Pflaumenbäumen verlor er sich in ihren geheimnisvollen Düften. Es heißt, dass CHOU MU-SHIH in einem Boot übernachtete, um seine Träume mit denen der Lotospflanzen zu vermählen).
Vom Preis der Blüten und Düfte kündet auch die Dichtung. Der taoistische Lyriker der Lebensfreude, LI PO (705-762), schrieb folgendes Gedicht:
Ihr fragt mich, warum im grünen Wald
ich niste
Ich lächle schweigend, und mein Herz ist
selig leicht:
Die Pfirsichblüten schwimmen fort und
schwinden -
Es gibt noch eine Welt, von Menschen nicht
erreicht.
Menschliche Eigenschaften der Blumen und Düfte
Blumen und Düfte wurden durch Menschen und menschliche Eigenschaften charakterisiert. CHOU TUN-I nannte den Lotos „den Fürsten aller Blumen“; Orchideen waren der Wohlgeruch der Könige (Konfuzius), während die Chrysantheme dem sich zurückziehenden Gelehrten glich (CHOU TUN-I). Der Bambus war der „gentleman“ unter den Pflanzen (YANG MING-TZU), Pinien wurden die großen Offiziere genannt (Kaiser SHIH-HUANG), während die Pflanze Hemerocallis graminea Vergessenheit symbolisierte. Der Hibiscus, der sich des Morgens öffnete und nachts den Kopf hängen ließ, war das Symbol für die Glorie des kurzen Lebens. Die Unterscheidung von Gutem und Schlechtem drückte man in dem geflügelten Wort aus: „Wohlduftende und schlecht riechende Pflanzen werden in verschiedene Gefäße getan.“)
Geruchssinn der Chinesen
Der Geruchssinn ist in China auch heutzutage noch stark ausgebildet. Vor allem
besitzen die Chinesen einen Sinn für Rassen-Duftausstrahlung aller Art. Eine Reisende vermerkte in ihrem Chinesischen Tagebuch: „Einem kleinen chinesischen Jungen, der sich an der Hand seiner Mutter mutig mir genähert und der vor Erstaunen Mund und Nase aufgerissen hatte, reichte ich einen Keks. Er nahm ihn, beschnüffelte ihn misstrauisch, dann aber warf er ihn enttäuscht zur Erde. Es war der Europäerduft, der ihm zuwider war. Sind doch selbst Maultiere hierzulande empfindlich gegen Andersrassige und werfen sie ab. Als einem Bekannten das passierte, tröstete ihn sein Diener und meinte: Das Tier wird sich schon an deinen Geruch gewöhnen.“)
Ein seines Augenlichtes beraubter, feinfühlender Chinese konnte angeblich die Bücher an ihrem Geruch erkennen. Als ihm ein Doktor Bücher gab, sagte der blinde Alte: „Dies hier ist ein Werk, welches sich. mit Kosmetik beschäftigt (HSI-HSIANG CHI), denn es duftet nach Pomade, und das hier enthält Schlachtgesänge (SANKUO-CHIH), denn man riecht das Kriegspulver“. (nach E. Schimmel)
HUANG SHÉN (1687-1768), Dichter und Landschaftsmaler, ließ den Menschen die Wohltat des Duftes bis ins hohe Alter genießen: „Als alter Gärtner muss des blassen Ausdrucks ich mich schämen / Doch seh ich diese gelben Blumen, spür ich des Lebensabends Duft.“)
Duftsprache
„Duftend“ hieß in China auch hübsch; Geruchs- und ästhetische Kategorien gingen ineinander über. Man sprach auch von der duftenden Tugend oder von duftenden Spuren, d. h. guten Werken). „Parfüm“ wurde mit HSIANG-LIAO umschrieben, ein anderes Wort dafür war HSIANG-SHUI. „Parfümieren“ mit CHIA HSIANG LIAO. „Wohlgeruch verbreiten“ heißt HSIANG. Das Wort für das Substantiv trat schon sehr frühzeitig im chinesischen Schrifttum auf. „Pomaden“ und „Kosmetika“ nannte man YEN-CHIH. Für „Balsam“ standen nicht weniger als fünf Worte zur Verfügung (HSIA SUNG CHIH, SHU HSIANG, HSIEH-I, HSIANG KAO und FANG HSI- ANG TZU). Der praktische Sinn des Chinesen zeigte sich auch in der Schrift. Das Symbol für „stark riechend“ oder „duftend“ wurde einfach umgekehrt, dann wurde „stinkend“ daraus. In einer Novelle „HSIANG SHAO oder der Sekretär und die Parfüme“ wird erzählt, dass ein Minister als Sekretär einen jungen Mann hatte, der
seine Tochter sehr verehrte. Der Vater merkte eines Tages den Duft des Parfüms seiner Tochter an den Kleidern des Gehilfen. Das war Grund genug, beide miteinander zu vermählen.
Weihrauch
Weihrauch pflegte man in Form kleiner Stäbchen und als Flitterpapier zu verbrennen. Die Stäbchen steckte man, ähnlich wie in Indien die Argarbathi, in einen kunstvoll verzierten Behälter, der vor Götterbildern aufgestellt wurde. In der Zeremonienhalle. zu Peking, die dem Andenken der verstorbenen Kaiser diente, wurde Weihrauch in großen Mengen verbrannt. Man ehrte den Monarchen der weltlichen oder geistigen Herrschaft (Konfuzius), indem man Räucherwerk entfachte. Zur Zeit der Dynastien CH´IN und HAN (255 v. Chr.-220
n. Chr.) wurde Weihrauch in verschiedenen Formen, in Stücken, Pillen, Stangen usw. für allerlei Zwecke und auch als geruchstilgendes Mittel verwendet. In der Zeit des Kaisers WU (140-88 v. Chr.) der HANDynastie wurde Räucherwerk als Tribut eingeführt und war ständig im kaiserlichen Palast in Gebrauch. Der Herrscher TS´AO TS´AO hatte einmal im 2. Jh. n. Chr. das Räuchern verboten, doch wurde seinen Konkubinen gestattet, die Weihrauchvorräte nach seinem Tode wieder zu verwenden. In der MING-Dynastie fertigte man für das Räuchern besonders kostbare Behälter, Gefäße und Ständer an. Auch Räucherkerzen waren, wie überall im Fernen Osten, recht beliebt. Der Dichter WANG AN-SHIH .(1021-1086), einst Staatskanzler und Ratgeber des Kaisers, besang die Frühlingsnacht:
Zu Asche -ward die Räucherkerze,
still ist die Wasseruhr.
Ein kühler Wind erhebt sich leise,
erschauernd liegt die Flur.
Ich kann nicht schlafen,
Frühlingszauber fällt mir in den Sinn,
Im Mondschein gleiten Blumenschatten
über die Blenden hin.“)
Parfüm
Wie in anderen Ländern dienten auch in China die Parfüms dem Kult, dem häuslich-profanen Gebrauch und den Festen oder den Vergnügungen. Düfte, denen man auch eine aphrodisiakische Wirkung nachsagte, waren besonders beliebt. Auch mit Opium gemischte Parfüms wurden verwendet. Chinesische Mandarinen benutzten früher einen Duftstoff E-HSIANG mit Namen, der sich bis heute in den Gewändern gehalten haben soll. Die Tusche, die zum Schreiben oder Malen in Alt-China benutzt wurde, war mit Ambra, Moschus oder Kampfer parfümiert**.
Heilmittel
Wie andere Kulturvölker bedienten sich auch die Chinesen der Aromata als Heilmittel. Chinesische Ärzte haben vor allem die Riechdiagnose ausgebildet, um Krankheiten rasch zu erkennen. Moschusduft, sagte man in China, sollte den Kopfschmerz lindern. Die chinesische Materia Medica kennt 56 Arten von aromatischen Kräutern und 35 wohlriechende Hölzer, wovon die meisten als Räuchermaterial Verwendung fanden.
Moschus
Der altchinesische Duftstil war für europäische Begriffe recht streng. Vor allem liebte man den starken Geruch des Moschus. In den nordwestlichen Provinzen von China war das Moschustier zu Hause. Die Chinesen nannten Moschus SHAI-HSIANG. Als erster europäischer Reisender hat ihn Tavernier erwähnt, der auch die Jagd auf das Moschustier beschrieb: „Zu dieser Zeit“. (im Winter) liegen die Jäger nach ihm im Anschlag mit Schlingen und töten es mit Pfeil und Bogen. Die Tiere sind so mager durch den Hunger, den sie erlitten, so geschwächt, dass sie leicht verfolgt und überwältigt werden können.“) Man sagte, der Geruch des Moschus sei so durchdringend gewesen, dass sich die Jäger Nase und Mund mit einem Leinentuch verstopften, wenn sie den Beutel vom Tier abschnitten.
Jede Kultur der Erde trägt zur Geschichte der Düfte etwas bei. Den Chinesen verdankt man in der Hauptsache die Entdeckung und Nutzung des Moschus (von Moschus moschiferus). Die Düfteskala, die Alt-China liebte, reichte von diesem strengen Moschusgeruch bis zum feinsten Duft des Rosenwassers. Jener mag mehr der sinnlichen Triebsphäre zugehören, dieses spricht geistige Zentren an. Feinsinnige Chinesen wusstenum die zarten Beziehungen, die sich zwischen Duft, Seele und Geist weben.
Im Kosmos, dem lebendig geordneten All, das alles barg, fand sich Raum für Gerüche und Düfte, für Triebhaftes und Geistiges. Beide zusammen bildeten erst die volle Wirklichkeit
* Prof. Dr. Horst Wagenführ, Institut für Wirtschaftliche Zukunftsforschung
** vgl. die Erzählung „LI PO's diplomatischer Meisterzug“ aus den Wunderbaren Geschichten aus alter und neuer Zeit der MING-Dynastie (1368-1644), deutsch von Anna Rottauscher
Aus dragoco report 05/1974
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