Ätherische Öle, damals und heute
Homer (8. Jh. v. Chr.), der durch seine Epen „Ilias" und „Odyssee" seinen Ruf als größter Dichter der Antike begründete, nannte das Mittelmeer die „dunkle, weißfarbene See", und die Geschichte der ätherischen Öle hat ihren Ursprung in den Ländern, die das Mittelmeer umgeben. Historisch bekannt ist, dass Duftwässer bei den alten Ägyptern, den Griechen und Römern, die Luxus besonders liebten, sehr begehrt waren. In den Überlieferungen werden oft wohlriechende Salben erwähnt, die, wie angenommen wird, durch Mazeration von aromatischen Pflanzen, Blüten usw. in pflanzlichen Ölen hergestellt wurden. Das aromatische Material, wie Kräuter, Gewürze, edle Hölzer, wohlriechende Harze und Balsame, kam aus dem fernen und mittleren Asien und Afrika. Es entwickelte sich ein gut florierender Handel zwischen den Mittelmeerländern und den Herkunftsländern dieses aromatischen Materials. Handelsherren waren in erster Linie Ägypter und Phönizier, später die Araber. Im Altertum war Phönizien ein Küstenstreifen Syriens. Die Phönizier waren im 3. Jh. v. Chr. aus Arabien eingewanderte Semiten. Aus der nur kärglichen Literatur, die uns erreichte, kann man nicht ersehen, ob damals schon die Dampfdestillation wohlriechender Pflanzenteile zur Isolierung ätherischer Öle diente.
Das weströmische Reich erlag 476 den germanischen Völkern, und Jahrhunderte später entstand in Arabien eine neue Macht, die lose verbundene islamische Welt. 711 n. Chr. überquerten fanatisch kämpfende Mauren die Straße von Gibraltar und eroberten den südlichen Teil von Spanien. Im Laufe der Zeit verbanden Gelehrte der Moslems altertümliche Kulturen mit den religiösen und praktischen Lehren des Korans. Es entstanden hervorragende Universitäten in Toledo, Cordoba und Sevilla.
Im 9. Jh. n. Chr. hat Geber, der berühmte Arzt und Pharmazeut jener Zeit, seine neuen Theorien über den „Stein der Weisen" (Lapis philosophorum) niedergelegt, mit dem unedles in edles Metall verwandelt werden sollte, damit waren die Grundlagen der Alchemie geschaffen. In Fragmenten vermitteln uns seine Schriften viele Details über Destillierverfahren, und durch ihn wurde die Kunst, Pflanzenmaterial zum Zweck der Herstellung von aromatischen Wässern zu destillieren, immer bekannter. In der damaligen Zeit wurden beispielsweise in großen Mengen Rosenwasser und Rosenöl hergestellt, und ihre Verwendung als Mittel gegen Augenkrankheiten und sonstige Krankheiten erinnert in Marokko noch heute an ihre alte Bedeutung. Im tiefen Mittelalter fanden Kunst und Wissenschaft in den Klöstern Zuflucht, und die Lehren von Geber und seinen Schülern drangen in diese christliche Welt ein. Kulturelle und kommerzielle Kontakte zwischen den Welten des christlichen Abendlandes und des mohammedanischen Morgenlandes ergaben sich in den Zeiten zwischen den Kreuzzügen (1096-1254). Die entwickelte Kunst des Destillierens gelangte unter anderen Erfindungen des Islams nach Westeuropa. In großem Aus- maß wurden destillierte aromatische Wässer mit dem Beginn des 13. Jahrhunderts für, medizinische Zwecke verwendet. Dass die auf diesen Wässern meist auftretende Ölschicht Träger der wertvollen Bestandteile dieses Destillats ist, erkannte man erst später.
In den Jahren 1500 und 1507 veröffentlichte Hieronimus Brunschwig die beiden großen Bände seines Werkes „Destillir Buch". Es folgten bald weitere Bücher von anderen Autoren über die Destillation von verschiedenen Pflanzen. Die Prinzipien der Dampfdestillation und die damaligen Möglichkeiten der Herstellung von Destillieranlagen werden in diesen Werken, wenn auch manchmal sehr bescheiden, beschrieben. Dies war die Anregung zur Herstellung verschiedener ätherischer Öle in vielen Ländern und der Anfang des Handels mit ätherischen Ölen in Europa.
Grasse wurde im Laufe der Jahrhunderte das . Zentrum der französischen Parfümindustrie, und Sizilien entwickelte sich zum bedeutendsten Produzenten von Citrusölen. Seit diesen Zeiten hat die Industrie ätherischer Öle eine enorme Ausweitung gefunden, und sie ist in vielen Ländern der ganzen Welt heimisch geworden, aber der Mittelmeerraum hat, auch heute noch dabei seine klassische Rolle behalten.
Sizilien, die große Insel am Ende der italienischen Halbinsel mit ihrer bedeutenden antiken: Vergangenheit und klassischen
Schönheit, besitzt derzeit eine der größten Industrien zur Herstellung von Citrusölen. und steht bezüglich der Citronenöle hinter Kalifornien an zweiter Stelle.
Die Provinz Kalabrien, die Spitze des italienischen „Stiefels", ist seit langer Zeit der Hauptlieferant des unentbehrlichen Bergamottöles. Alle Versuche in den verschiedensten Gebieten unserer Erde, den empfindlichen Bergamottbaum anzusiedeln, schlugen bisher fehl mit Ausnahme eines begrenzten Erfolges an der afrikanischen Westküste. So hat sich Kalabrien bis heute eine Monopolstellung hinsichtlich dieses Öles erhalten können.
Israel liefert besonders Citrusfrüchte (Jaffa-Orangen). Es werden Citrussäfte und Citrusöle mit Hilfe moderner Maschinen gewonnen, die zum Teil im eigenen Land hergestellt werden.
Eine blühende Citrusindustrie besteht in Südgriechenland, insbesondere entlang den Küsten des Peleponnes. Die Erzeugung von Produkten aus Citrusfrüchten wird auf modernsten Einrichtungen vorgenommen.
Die Region von Grasse, die durch lange Zeit das bedeutendste Industriezentrum natürlicher Blütenöle war, liegt entlang der Riviera, im Norden durch die Seealpen gegen kalte Winde geschützt. Neben Jasmin, Rosen, Bitterorangen, Mimosen, Jonquille, Tuberosen usw. werden auf großen Feldern an den Berghängen von Dröme und Vaucluse Lavendel und Lavandin kultiviert.
Bis in die Mitte der dreißiger Jahre gehen die Anstrengungen zur Einrichtung von Erzeugungsstätten für ätherische Öle in Marokko zurück. Heute werden bereits große Mengen an Geranium-, Rosen-, Jasmin- und Neroliblüten zwischen Rabat und Meknes sowie bei Tedders, südwestlich von Meknes, aufgearbeitet. Kultiviert werden die Pflanzen auf ausgedehnten Pflanzungen, von denen einige die größten der Welt (mehr als 4 Mio. m2) darstellen.
Die Ausrüstungen zur Destillation und Extraktion sind modernster Art. Rosa centifolia wird auf großen Feldern nahe Tedders kultiviert, es ist eine aus Grasse eingeführte Art (Mairose). In den Tälern von Dadés, an den nördlichen Ausläufern der Sahara, kultivieren die Berber die Rosa damascena als Hecken rund um ihre kleinen Felder. Teile der Ernte werden oft von französischen Firmen aufgekauft und im Tal zur Gewinnung der ätherischen Öle oder der Konkretes destilliert bzw. extrahiert.
In Südspanien, auf dem fruchtbaren Boden zwischen dem Mittelmeer und der Küstenbergkette, werden seit vielen Jahren Citrusbäume kultiviert, deren Früchte in viele Gebiete Europas exportiert werden. Auch Citrusöle werden hier produziert, teilweise noch nach alter überlieferter Art durch Handpressen. Unfruchtbar sind meist die trockenen und sonnigen Hänge der Zentralberge Andalusiens mit Ausnahme des stellenweisen Vorkommens von Rosmarin, Thymian und Salbei. In einfachen Destillieranlagen werden aus diesen wild-wachsenden Pflanzen alljährlich immer noch beträchtliche Mengen ätherischer Öle destilliert.
Ausgehend von diesen klassischen Gebieten drang die Gewinnung ätherischer Öle weit nach Norden vor. Dort wurden neben den bereits bekannten auch neue Öle hergestellt, wie z. B. die Nadelöle der Koniferen in den Alpen und in Südost- und Osteuropa. Auch an die berühmte Rosenölindustrie in Bulgarien sei hier erinnert.
Aus dragoco report 12/1970
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